Am 14.12.2022 erfuhren die Bürger des Landkreises Altötting aus heiterem Himmel, dass bei ihnen „Deutschlands größter onshore-Windpark“ im Staatsforst geplant sei. 40 Windräder mit einer Nabenhöhe von 199 Metern und einer Gesamthöhe von 287 Metern sollten es letztendlich werden.
Bereits am selben Tag (!) stimmte die Stadt Altötting über dieses Projekt ab, ohne weitergehende Informationen zum Projekt zu haben. Nach Altötting folgten sehr schnell die Abstimmungen in den weiteren betroffenen Gemeinden. Sieben Gemeinden stimmten für die Windräder, Kastl lehnte sie ab und Emmerting hat erst gar nicht abgestimmt. Innerhalb von nur zwei Monaten wurden die Abstimmungen durch die Gemeinderäte gepeitscht.
Man hatte es also sehr eilig. Man wollte Nägel mit Köpfen machen, bevor der Bürger merkt, was los ist. Demokratie würde da nur stören. Denn auch wenn Minister Aiwanger sagte „es gibt keinen Widerstand aus der Bevölkerung“, war klar, dass das das berühmte Pfeifen im Wald war. Der Widerstand kam unerwartet schnell! Bereits in der Sitzung in Altötting kündigte ein Stadtrat Widerstand an, weil er meinte, solche großen Projekte könne man nicht über die Köpfe der Bürger entscheiden.
Schon wenige Tage später wurde eine Telegramgruppe gebildet, aus der dann rasch die Bürgerinitiative (BI) ‚Gegenwind Altötting‘ entstand. Diese war von Anfang an hochmotiviert, schrieb Emails und Briefe an Stadt- und Gemeinderäte, entwarf Flyer, Aufkleber, Plakate und Banner, erstellte eine Homepage, weitete sich auch auf Facebook aus und sammelte Unterschriften für mehrere Bürgerbegehren.
Da das den Plänen der Regierung gefährlich werden konnte, schoss man aus allen Rohren gegen die BI. Die Presse rückte sie wahrheitswidrig in AfD-Nähe, Referenten wurden diskreditiert und belegbare Argumente als Falschaussage verächtlich gemacht. Man tat alles, um Windkraft im Wald gutzureden.
Und schon damals wurden die Regeln gebrochen und nachträglich verändert. Denn in den Beschlussvorlagen der Stadt- und Gemeinderäte war festgelegt, dass ALLE beteiligten Gemeinden zustimmen müssten, um das Projekt weitertreiben zu können. Und obwohl aus Kastel ein NEIN kam und aus Emmerting kein JA erfolgte, wurde das Projekt dennoch angestoßen. Die Regeln gelten eben nicht, sobald sie lästig werden.
Man erzählte den Räten auch, die Abstimmungen seien im Prinzip gar nicht nötig, es sei nur ein Entgegenkommen der Bay. Staatsforsten. Auch das war eine glatte Lüge, denn die Zustimmung der Gemeinden war Voraussetzung und somit zwingend nötig. Die Presse griff das natürlich nicht auf und stürzte sich lieber auf die BI. Dilettantismus und fehlende Ernsthaftigkeit wurden ihr öffentlich vorgeworfen; die Initiatoren des Bürgerbegehrens hätten „nachweislich keine Sach- und Fachkenntnis“ zum „Ablauf der Bürgerbeteiligung“, konnte man in der Tageszeitung lesen.
Dennoch fuhr die BI beim ersten Bürgerentscheid in der Gemeinde Mehring mit 63% ein großartiges Ergebnis ein und konnte dort den Bau von 10 Anlagen verhindern.
Dass man dem Establishment damit einen schweren Stoß versetzte, wurde erst dann so richtig offensichtlich. Auf einmal wurde die BI zur Gefahr für die gesamte Energiewende in Bayern. Und plötzlich war Minister Aiwanger Dauergast im Landkreis, das Bayerische Fernsehen machte sogar eine Sendung „Jetzt red I“, die Betreiberfirma Qair brachte Broschüren in Umlauf, Veranstaltungen wurden abgehalten, die Presse schoss weiterhin gegen die BI und sogar der BUND und der Landesbund Vogelschutz stellten sich auf die Seite der Windkraftbefürworter!
In der Gemeinde Marktl wurde dann dieselbe Frage, die in Mehring zur Abstimmung kam, abgelehnt und durch ein vom Gemeinderat vorgeschlagenes Ratsbegehren ersetzt. Dessen Fragestellung war jedoch so gestaltet, dass eine Ablehnung vermutlich zu einem gesetzwidrigen Beschluss des Rates geführt hätte und vom Landratsamt gekippt worden wäre. Eine Möglichkeit, die Windkraftanlagen im Wald zu verhindern, bot dieses Ratsbegehren also nicht. Man streute den Bürgern Sand in die Augen.
Auch das Angebot einer gemeinsamen Info-Veranstaltung „auf Augenhöhe“ war ebenfalls nur Schall und Rauch. Einigte man sich anfangs noch auf eine öffentliche Podiumsdiskussion „zwei gegen zwei“ so war die Gewichtung letztendlich 8 gegen 1. Denn dem Vertreter der BI standen dann am Tag der Veranstaltung plötzlich u.a. Vertreter der Industrie, der Betreiberfirma Qair, der Bay. Staatsforsten, der Landrat, der Bürgermeister und Minister Aiwanger gegenüber. Und während der BI externe Experten als Redner verboten wurden, machte die Gegenseite fleißig Gebrauch davon. „Auf Augenhöhe“ sieht anders aus, meinte die BI, verlas ein Statement und verließ die Bühne.
Und weil die Bürgerinitiative erfolgreicher und damit gefährlicher als befürchtet ist und weitere Abstimmungen in Haiming und Neuötting ankündigte, musste man nun dringend handeln. Denn es könne ja nicht sein, dass der Bürger etwas zu sagen habe. Wo kämen wir denn da hin, wenn der Souverän entscheiden dürfe! Also muss man dem Bürger das Recht zur Mitbestimmung nehmen. Und genau das forderte Herr Aiwanger, also jener Minister, der auf einer Demo in Erding im Sommer noch ins Mikrofon rief „die schweigende Masse muss sich die Demokratie wieder zurückholen“!
Aiwanger kündigte inzwischen an, sich durch Bürgerinitiativen nicht mehr aufhalten zu lassen (!), und deshalb die sog. Kommunalklausel zu ändern. Diese findet sich in der Satzung der Bay. Staatsforsten und besagt, dass man bei Bauvorhaben die Zustimmung der entsprechenden Gemeinde braucht – was man durch Bürgerbegehren bisher verhindern konnte. Also muss die Klausel und damit die Meinung der Bürger weg.
In einer Pressemitteilung schrieb Aiwangers Ministerium am 3.5.2024 noch: “Der Bürgerentscheid in Mehring hat uns gezeigt, dass wir zur Windkraft noch mehr informieren müssen… Der Ausbau der erneuerbaren Energien geht nur gemeinsam mit den Bürgern.“
Jetzt sind sowohl Informationen als auch das „gemeinsam“ nicht mehr wichtig.
Und das obwohl Aiwanger noch einen Tag vor Abschaffung der Kommunalklausel Ministerpräsident Söder davor warnte, Bürgerentscheide zu beschneiden. Er würde eine massive Beschneidung der Bürgerbeteiligung nicht mittragen, so Aiwanger.
Bereits einen Tag später galten seine Aussagen schon nicht mehr und er machte buchstäblich das Gegenteil von dem, was er am Vortag noch sagte: Er nahm genau diese massive Beschneidung der Bürgerbeteiligung vor, indem er als Vorsitzender des Aufsichtsrates der Bay. Staatsforsten die Kommunalklausel kippte und Bürger deshalb zukünftig auch nicht mehr abstimmen können.
Eine schriftliche Anfrage der Bürgerinitiative bei Aiwangers Ministerium, welche Auswirkungen die Abschaffung der Kommunalklausel auf das Projekt in Altötting hat, blieb trotz Nachfrage bislang unbeantwortet.
Bürgerinitiative Gegenwind Altötting